Die Vielfalt von "Show, don't tell"

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  • Michael W
    Kaffeetrinker
    • 04.09.2023
    • 66

    Die Vielfalt von "Show, don't tell"

    "Show, don't tell" ist einer der beliebtesten Schreibtipps. Die Idee dahinter ist, Momente zu zeigen, anstatt darüber zu berichten. Klingt nach einer einfachen Anweisung (Tu einfach dies und nicht das), bei der Umsetzung sieht es aber anders aus. "Tränen liefen ihr über das Gesicht" ist nicht automatisch besser als "Sie weinte". Nicht nur der Kontext ist wichtig, sondern auch, wie man "Show" überhaupt interpretiert und umsetzt.
    Ich finde, dass der Schreibtipp in jeder Situation gesondert angewendet werden kann. Um einen Überblick zu behalten, hilft es, Ähnliches zu gruppieren. Zum Beispiel kann man jedes Mal ähnlich vorgehen, wenn man Details über eine fiktive Stadt einbauen möchte oder wenn ein neuer Charakter vorgestellt wird.

    "Show" ist besonders wirkungsvoll, um große und komplexe Themen in kleine und verdauliche Happen zu bringen. Der Satz "Tausende werden vermisst" lässt kaum zu, die Tragik dahinter zu spüren. In "Sein Spazierstock steht immer noch an derselben Stelle" ist das Schicksal einer einzelnen Person erlebbar.
    Mit "Tell" bringt man die jeweilige Information fast immer mit deutlich weniger Worten rüber als mit "Show". Das kann man gezielt als Effekt nutzen, ein schlichtes "Er ist tot" könnte etwa sehr abrupt und schockierend wirken. Auch dann, wenn der Informationsgehalt im Vordergrund stehen muss, ist "Tell" meistens nützlicher.

    Aus meiner Sicht ist eine gute Balance zwischen Show und Tell wichtig. Sonst würde es ja "Always show, never tell" heißen.
    Jedes Mal, wenn ich über "Show, don't tell" lese, gewinne ich neue Interpretations- und Anwendungsmöglichkeiten dieses Schreibtipps. Deshalb frage ich euch, wie ihr das seht. Was sind eure Erfahrungen mit "Show, don't tell"?
  • Malou
    Milchtrinker
    • 14.09.2023
    • 17

    #2
    Ich hatte immer so meine Probleme mit der Phrase "Show don't Tell", konnte aber lange Zeit nicht den Finger darauf legen. Natürlich ist "Show" sehr wichtig und natürlich riskieren vor allem unerfahrenere Autoren, zu stark ins "Tell" zu rutschen. Es ist eine kleine eigene Kunst, das zu lernen und die Vielfalt von "Show" anzuwenden. Daher bin ich richtig gespannt auf die Tipps. Magst du uns das genauer erläutern, welches Wissen und welche Erfahrungswerte du schon darüber hast?

    Shaelinwrites hat dann zusammengefasst, worin ich unterbewusst ein Problem gesehen habe. Wieso ist es eigentlich "Show DON'T Tell"? Wieso nicht "Show AND Tell?" Klingt nicht so peppig, ist aber viel näher an einem guten Schreibstil dran. Es gibt ein gutes "Tell" und nicht alles muss mit einem "Show" unterfüttert werden, damit die Story funktioniert. Das geht auch gar nicht. Ich habe an mir selber schon bemerkt, dass ich aufgrund der Masse an "Show don't Tell" Aussagen und Tipps in meinen Romanen krampfhaft versucht habe, jede Nichtigkeit zu zeigen. Es wird halt selten wirklich differenziert bei der Aussage, sondern es wirkt sehr oft so, dass "Tell" automatisch schlecht ist. Daher bin ich dafür, dass wir mal mehr darüber erfahren, was ein gutes "Tell" ist und wann man es einsetzt Ich schreib grad übers Handy und komm da nie so gut klar mit den Funktionen, daher schmeiß ich den Link zu Shaelins Video, wo sie "Show don't Tell" kritisch beleuchtet, einfach erstmal rein und schaue später, das ordentlich zu machen: https://youtu.be/8OQ3unyD0Eg?si=IP3QD5X387JKAe8b

    Aaaaber das ist nur als Ergänzung gedacht und soll "Show" nicht weniger wichtig machen. Mir bleibt gerade keine Zeit, noch mehr dazu zu sagen, daher schick ich meinen Post erstmal so ab
    ​​​

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    • Yamuri
      Kaffeejunkie
      • 04.09.2023
      • 337

      #3
      Ich hatte dazu auf Belletristica mal einen kleinen Text geschrieben, den ich mal dreist hier teile.

      Warum ich »show and tell« dem »show don't tell« vorziehe.

      Menschen haben eine unterschiedliche Wahrnehmung. Niemand wird eine Situation, die ihm nur gezeigt wird, exakt gleich wahrnehmen. Basierend auf der individuellen Lebensgeschichte und dem, was das Individuum bereit ist als seine Wahrheit zu akzeptieren, werden äußerlich sichtbare Ereignisse automatisch von unserem Gehirn interpretiert. Wir können das gar nicht verhindern. Indem wir unsere Umwelt mit unseren Sinnen wahrnehmen, interpretieren wir sie. Wenn wir uns zu sehr darauf verlassen, was unsere Augen sehen, laufen wir Gefahr das komplexe Verhalten eines Menschen gänzlich falsch zu interpretieren. Denn wir werden immer basierend auf unseren eigenen Vorstellungen das, was wir mit unseren Sinnen wahrnehmen interpretieren. Wir können nie wissen, ob das, was wir sehen beim Gegenüber dieselben Gefühle auslöst. Ein Mensch kann lachen und sich nach außen fröhlich geben, während sein Herz bittere Tränen weint und derselbe Mensch sich den Tod herbeisehnt.

      Show zeigt immer nur, was äußerlich sichtbar ist, zeigt den Schein, das, was unsere Sinne wahrnehmen und interpretieren. Wir sehen durch Show nicht hinter die Maske, wenn das Gegenüber es nicht zulässt. Das Medium Buch ist für mich ein Mittel das Unsichtbare sichtbar zu machen. Und das lässt sich durch Tell bewerkstelligen. Wir können mit Tell dem Leser zeigen, wie wir ein Verhalten, die Körpersprache oder Mimik eines Menschen interpretieren. Wir erlauben dem Leser durch das Tell in unsere Köpfe zu blicken, zu sehen, was wir als Autoren uns gedacht haben.

      Mich interessiert beim Lesen die Wahrnehmung des Autors. Ich möchte wissen, wie interpretiert der Autor. Wenn er mir das aber nicht sagt, durch erzählenden Text, dann weiß ich es nicht. Ich kann nur raten. Denn meine Wahrnehmung ist nicht seine und wenn er mir nur die äußere Fassade präsentiert, werde ich nie wissen, was wirklich dahinter steckt, es sei denn, es wird mir gesagt. Dann erhalte ich Einblicke in die Welt dahinter, in das Unsichtbare, das sich weder in der Körpersprache, noch der Mimik einer Person offenbart und das mitunter nicht einmal im Verhalten erkennbar sein muss.

      Manche Menschen tragen perfekte Masken, so perfekt, dass sie glauben die Maske zu sein. Wollen wir dahinter sehen, die Masken entfernen, zumindest für den Leser, dann brauchen wir Tell. Doch Tell allein, kann schnell langatmig werden, erklärend wirken oder zu Infodump führen. Das wiederum ist auch nicht der Sinn und Zweck. Und daher brauchen wir Show in gleichem Maße. Show kann uns die äußeren Eindrücke zeigen, kann uns auf falsche Fährten locken.

      Vor einem Jahr sah ich eine Serie, Be Reborn. Der Bösewicht, der sich hinter allen Fällen verbarg, war ein perfekter Schauspieler. Nach Außen zeigte er ein Verhalten, auf das man einfach hereinfallen musste. Nur kleine Nuancen, die Zuschauern natürlich ins Auge sprangen, dem Protagonist aber entgingen, aufgrund der Stresssituation in der er sich befand, boten Hinweise, dass mit diesem Mann etwas nicht stimmt. Er war zu nett, zu verständnisvoll, wie der nette Kerl von nebenan, dem man gern vertraut, weil er immer zur Stelle ist und einem zuhört. Den Bösewicht auf diese Weise darzustellen war für die Serie ein guter Schachzug, auch wenn ich am Ende fast traurig war, dass ich Recht behielt, was den Bösewicht anbelangte.

      In Filmen und Serien gibt es nur Show. Das funktioniert sehr gut und bietet letztlich Raum für Interpretation. Es kann die Spannung erhöhen und das Publikum auch auf falsche Fährten locken. Das ist die Stärke des Show, die eine gute Geschichte nicht missen darf. Show ist wichtig, keine Frage. Aber Show ohne Tell, in einem Buch, ist verschwendetes Potenzial.

      Denn ein Buch lebt davon, dass ich durch Tell das Unsichtbare sichtbar machen kann. Doch die Dosis macht das Gift:
      Übertriebenes Show kann in einer Geschichte zu Fehlurteilen führen, die im schlimmsten Fall Klischees reproduzieren. Wohl dosiertes Show erzeugt den Treibstoff, der der Geschichte Lebendigkeit verleiht.
      Übertriebenes Tell führt irgendwann zu Langweile und dem Gefühl es mit einem Erklärbär zu tun zu haben. Wohl dosiertes Tell wertet eine Geschichte auf, da es die unsichtbaren Nuancen sichtbar macht.

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      • Araluen
        Moderator
        • 04.09.2023
        • 226

        #4
        Ich denke die Schwierigkeiten, die Romanautoren immer wieder mit Show don't tell haben, ist, dass sich diese Regel ursprünglich an Drehbuchautoren richtete. Drehbuchautoren arbeiten allerdings mit einem visuellen Medium. Im Falle eines Drehbuchs/Films hat diese Regel auch absoluten Bestand, weil die Möglichkeiten im vergleich zum Roman begrenzt sind und die Erwartungen der Zuschauer andere als von einem Leser. Nichts wäre langweiliger als ein langatmiger Dialog darüber, wie böse Darth Vader beispielsweise ist, um danach zu zeigen wie Darth Vader auf der Brücke ein paar Befehle gibt. Was wurde stattdessen gemacht? Bei seinem ersten Auftritt marschierte Darth Vader zum epischen Imperial March auf, erhielt einen Bericht und als ihm dieser nicht passte, tötete er den Boten mit dem Machtgriff. Na wenn das nicht zeigt, dass der Kerl ein übler Hund ist, weiß ich auch nicht.
        Gut, in diesem Fall wäre auch bei einem Roman die letzte Variante die bessere. Aber es gibt viele Gelegenheiten beim Roman, wo es in meinen Augen absolut gegeben ist, Dinge einfach zu erzählen.

        Ich finde, man sollte die Regel umschreiben und sie Prove don't claim (Beweise und behaupte nicht) nennen. Was ich damit meine?
        Sie war traurig.
        Das ist einerseits einfach erzählt, ohne etwas zu zeigen, vor allem aber ist es eine Behauptung. Der Beweis fehlt noch. Der Beweis ließe sich im Laufe der Szene erbringen, indem man beschreibt, wie sie weint, Eis in sich rein schaufelt und traurige Musik hört. Nebenher würde vermutlich in einem inneren Monolog erläutert werden, warum sie nun traurig ist.
        Man könnte es sogar einfach so stehen lassen, muss hier aber die Kontinuität waren, sonst wird es melodramatisch.
        Ich kann als Erzähler nicht behaupten, dass sie traurig ist und dann merkt man davon nichts, weil sie direkt mit dem nächsten flirtet und einen Freizeitpark besucht. Das kann natürlich ihr Umgang mit Trauer sein. Nur dann brauch ich als Leser auch dafür einen Beleg.
        Das ist leider auch das Problem in aktuellen Serien, wenn man mal in Richtung des Star Wars Franchises blickt oder zu Rings of Power. Es wird immer üblicher, Dinge über Figuren zu behaupten, weil das Drehbuch will, dass sie so sein sollen. Es wird aber nie gezeigt. Damit bleiben die Figuren nicht mehr als hohle Schablonen und die Geschichte belanglos.
        Der Film hat nur die Möglichkeit den Beweis durch zeigen zu erbringen. Auch im Roman sollten wir diesen Beweis für unsere Behauptungen erbringen. Aber ich denke, der Roman bietet uns da mehr Möglichkeiten als etwas zu zeigen.

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        • Yamuri
          Kaffeejunkie
          • 04.09.2023
          • 337

          #5
          Ja, das stimmt, es wird immer üblicher Dinge einfach zu behaupten, ohne sie zu beweisen. Ist mir aber auch ein wenig bei Be Reborn aufgefallen. Dadurch, dass so hervorgehoben wurde, dass Wenjie klug sei, wirkten die Fehler, die für sein Alter normal waren, dass er sie machen wird, auf einmal wesentlich größer und schwerwiegender. Manche Zuschauer:innen hat das auch vergrault und die meinten dann, es habe sie gestört, dass er dafür, dass er doch so intelligent ist dann auf den Bösewicht reinfällt. Hätte man diese Behauptung, er sei hochintelligent einfach weggelassen, wäre das nicht so ins Gewicht gefallen. Er kann ja dennoch kreativ und klug sein, aber wenn man behauptet jemand sei ein Genie, erwarten natürlich die Zuschauer:innen entsprechend kluge Entscheidungen. Wobei hier die Behauptung auch stärker in den Keywords für die Serie steckte. Mich hat das jetzt nicht gestört, aber was du schreibst über das behaupten von Dingen, die dann nicht konsistent bewiesen werden, erinnert mich daran. Wobei es in den ersten 5 Folgen tatsächlich bewiesen wird, nur später dann nicht fortgeführt.

          Deinen Ansatz "prove, don't claim" anstelle von "show, don't tell" finde ich sehr gut Araluen

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          • Michael W
            Kaffeetrinker
            • 04.09.2023
            • 66

            #6
            Zitat von Malou
            Ich hatte immer so meine Probleme mit der Phrase "Show don't Tell", konnte aber lange Zeit nicht den Finger darauf legen. Natürlich ist "Show" sehr wichtig und natürlich riskieren vor allem unerfahrenere Autoren, zu stark ins "Tell" zu rutschen. Es ist eine kleine eigene Kunst, das zu lernen und die Vielfalt von "Show" anzuwenden.
            ​​​
            Ja, ich denke, dass die Phrase "Show, don't tell" vorwiegend an Anfänger gerichtet ist und es darum geht, erst einmal die Vorteile von gutem "Show" kennenzulernen. So kommt man vom bloßen Nacherzählen weg, wie es teilweise in der Schule im Deutschunterricht beigebracht wird.
            Selbstverständlich hat gelungenes "Tell" ebenso seine Berechtigung, das will ich hier noch einmal betonen. Yamuri hat einen weiteren Anwendungsbereich genannt, dem ich mich anschließen möchte:
            Wir können mit Tell dem Leser zeigen, wie wir ein Verhalten, die Körpersprache oder Mimik eines Menschen interpretieren. Wir erlauben dem Leser durch das Tell in unsere Köpfe zu blicken, zu sehen, was wir als Autoren uns gedacht haben.

            Zitat von Araluen
            Ich denke die Schwierigkeiten, die Romanautoren immer wieder mit Show don't tell haben, ist, dass sich diese Regel ursprünglich an Drehbuchautoren richtete.
            Sinngemäß gibt es die Regel "Show, don't tell" schon länger als Filme, aber es mag schon sein, dass sie besonders durch den Aufstieg der Filme an Bedeutung gewonnen hat. Auch in der Hinsicht finde ich sie vielseitig, weil sie nicht nur im Medium Buch wirkungsvoll ist, sondern überall, wo eine Geschichte erzählt wird, wie in Filmen, Theaterstücken, Videospielen etc.


            Zitat von Yamuri
            In Filmen und Serien gibt es nur Show.
            Nicht nur. "Tell" in einem Film wäre, wenn es zum Beispiel eine Erzählerstimme gibt. Das hat in der Verfilmung von "Eine Reihe betrüblicher Ereignisse" meiner Meinung nach gut funktioniert., weil es einen interessanten Erzähler gab, der mit seinen Eigenheiten die düstere Stimmung aufgelockert hat.​​

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            • Araluen
              Moderator
              • 04.09.2023
              • 226

              #7
              Es kommt auch immer darauf an, was man erreichen möchte.
              Beispiel Märchen. Die werden erzählt. Wenn man mal genau auf die Handlung schaut, geht es da aber richtig ab. Bei Aschenputtel werden Füße abgeschnitten. Bei der Gänsemagst hängt ein blutiger Pferdekopf über dem Tor. Gretel schiebt die Hexe in den Ofen. Der Wolf frisst das Rotkäppchen. Und obwohl Märchen wirklich grausam sind, lesen wir sie unseren kleinen Kindern vor. Funktioniert auch super. Die wenigsten Kinder kriegen von Märchen Albträume. Die Nähe fehlt, welche durch szenisches Erzählen (Show) erzeugt wird. Wenn man die Gänsemagd oder Rapunzel szenisch erzählt, bekommen wir eine Horrorstory, die FSK 16 verdient. Narrativ (Tell) erhalten wir eine Geschichte, die man Kindergartenkindern vorlesen kann. Die Geschichte bleibt in beiden Fällen die gleiche. Doch durch die Art des Erzählens ändert sich das Ergebnis.

              Es ist also immer eine sehr bewusste Entscheidung, ob ich einen Moment im Show oder im Tell erzähle.

              Das moderne Erzählen tendiert nur immer mehr zum Show, weil wir sehr von Filmen beeinflusst sind und leider unsere Aufmerksamkeitsspanne immer tiefer sinkt. Wir wollen Bücher mitlerweile wie Filme wahrnehmen, weshalb Show don't Tell immer mehr forciert wird. Ich wage die These, dass Show nicht unbedingt besser ist, zumindest nicht pauschal.
              Ich habe die Sherlock Holmes Geschichten gelesen, mich durch Lovecraft gequält (ich werd einfach nicht warm damit) und Rebecca, der Ourouborus und Dracula verschlungen, natürlich Herr der Ringe und von der aufgezwungenen Schullektüre ganz zu schweigen (und ihr sicher auch). Es sind wunderbare Geschichten dabei, aber völlig anders erzählt als heute - viel mehr Tell, viel mehr Zeit/Seiten, die mit scheinbar nichtssagenden Dingen gefüllt werden (wer musste noch die Buddenbrooks lesen? Dieses gelbe Sofa mit den Löwenkopffüßen und den gelben Spitzenkissen wird mich noch bis ins Grab verfolgen - nein ich habe das Buch nicht geschafft und weiß bis heute nicht, wie ich durch die Klausur gekommen bin). Obwohl wir auch heute noch gerne Bücher zur Hand nehmen, die 600 Seiten und mehr haben, fällt es oft schwer, diese Art Geschichten heute noch zu lesen. Es fehlt die Geduld. Wir wollen dicht dabei sein, was erleben. Tell hält uns jedoch auf Distanz und nimmt uns die Wertung ab.
              Als ich Rebecca fertig gelesen hatte, war mein Fazit: Tolle Geschichte, aber heute könnte man die so nicht mehr veröffentlichen. Bis da wirklich was passiert, ist man fast eingeschlafen. Sherlock Holmes besteht eigentlich nur aus Tell, weil Watson als Chronist die Ereignisse nur nacherzählt. Was in Holmes vorgeht oder was er den Großteil seiner Ermittlungen über treibt, erfährt man eigentlich nicht, außer er erzählt Watson davon. Trotzdem sind die Geschichten auch heute noch Pageturner - nicht im Fitzekstil, aber aus der Hand legen kann man oder zumindest ich die Fälle trotzdem nicht.
              Will nur sagen: Show don't Tell ist keine Universalformel. Wie wir Geschichten erzählen unterliegt dem Wandel der Zeit. Heute tut man gut daran, sich mehr auf Show zu fokussieren, weil es das ist, was die Leser großteils bevorzugen. Aber man sollte immer überlegen, warum man diese Szene im Show erzählt und nicht im Tell oder anders herum.​

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              • Rhagrim
                Moderator
                • 03.09.2023
                • 388
                • Staring down the Abyss

                #8
                Ich denke, es ist wie überall und es gibt nicht das eine, perfekte Rezept für alle Gerichte, nicht die eine Anwort auf die Frage, wie man Texte am besten schreibt. Ich finde "Show, don´t tell" passt als Anweisung für die, die "Show" meistern wollen und sich trotzdem immer im "Tell" verzetteln, aber als allgemeine Anweisung, wie man Texte generell schreiben sollte, finde ich es ungeeignet.

                Wie Araluen schon sagte - es kommt darauf an. Auf die Art der Erzählung, auf den Stil des Autors und auf die Art der Szene bzw. Information, die man vermitteln möchte. Gerade wenn mir der Autor viele Infos vermitteln, geschichtliche Hintergründe erzählen, oder mir mal eben schnell einen Überblick über die allgemeine Situation geben will, in der wir uns grade befinden, dann brauche ich das als Leser wirklich nicht über x Seiten als "Show" gezeigt.
                Wenn es dagegen um spannende Actionszenen geht, um emotionales oder eben alles andere, was einen mitreißen oder berühren soll, dann tue ich mir persönlich viel leichter, Bezug zu den Charakteren aufzubauen und mitzufühlen, wenn durch gezieltes einsetzen vom "Show" diese Nähe aufgebaut wird.

                Ich glaub, Show, Tell und die Graustufen und fließende Übergänge dazwischen sind, wie so vieles andere, einfach nur nützliche Werkzeuge, die für die jeweils unterschiedlichen Anwendungszwecke perfekt geeignet sein können und es ist gut, wenn man beides kennt, damit man beides bewusst einsetzen kann. 🙂
                “No tree can grow to Heaven unless it’s roots reach down to Hell.”
                - C.G. Jung

                Kommentar

                • Niam
                  Redakteur
                  • 05.09.2023
                  • 82

                  #9
                  Meiner Meinung nach, kommt es immer auch auf eine gewisse Ausgewogenheit an - wie ziemlich überall. Wenn beides klug genützt wird, wertet es sich gegenseitig auf und macht die Geschichte attraktiver und spannender.
                  Oftmals übersieht man, dass gerade die Abwechslung eine Geschichte würzt. Besteht z.B. eine flotte Actionstory ausschließlich aus Action, ohne dass die Figuren (und auch die Leser) auch ab und zu verschnaufen können, kann sie recht schnell anstrengend werden. Hat z. B. der grandiose Held nur Erfolgserlebnisse und ist er als „der Gute" durchgehend unerträglich rechtschaffen-gut und der Gegenspieler aber in jedem Aspekt grundlos böse und gemein - einfach weil er halt „der Böse“ ist - wird das nach einer Weile auch ziemlich mühsam.
                  Aber auch bei Dialogen kann es durchaus ein „Zuviel“ geben, wie ich entdeckt habe, als ich ein Buch extra wegen den witzigen Dialogen in der Leseprobe zu lesen begonnen habe, die aber recht bald den Reiz der „Einzigartigkeit“ verloren haben und - je weiter die Geschichte fortgeschritten ist – immer gezwungener gewirkt und eher zu nerven begonnen haben.
                  Deswegen finde ich, dass bei einer Geschichte die “Waage“ zwar durchaus ab und zu kräftig auf die eine oder andere Seite ausschlagen darf, aber insgesamt eine gewissen Ausgewogenheit herrschen sollte, sei es im Schreibstil, im Zeigen und Erzählen, beim Verhältnis Handlung und Dialoge, bei Action- und Ruhesequenzen oder auch bei den Handlungsspielräumen der einzelnen Figuren.

                  Aber das ist natürlich - wie immer und überall - eine Sache des persönlichen Geschmacks. 😉

                  Kommentar

                  • Federstreich
                    Redakteur
                    • 15.09.2023
                    • 89

                    #10
                    Ich verzweifle regelmäßig am Show. Vielleicht kommt es davon, dass ich früh angefangen habe, Kurzgeschichten zu schreiben, um das Handwerk schneller zu lernen, ohne viel Text dafür produzieren und anschließend entweder in die Tonne werfen oder mühsam überarbeiten zu müssen. Aufgrund der Kürze konnte ich mich da um das Show wohl gut herummogeln. Aber in meinen Romanen brauche ich es und da wird mir eben klar gesagt, dass es zu oft fehlt. Ich begreife es einfach nicht. Ich merke nicht, wann ein gutes Show angewendet werden könnte - oder wie ich es überhaupt umsetzen kann. Manchmal gelingt es mir wohl instinktiv, aber ich weiß nie, warum an der Stelle und wieso nicht immer.

                    Kommentar

                    • Rhagrim
                      Moderator
                      • 03.09.2023
                      • 388
                      • Staring down the Abyss

                      #11
                      Das kann ich dir nachfühlen. Mir war es früher auch ein Rätsel. Mir hat das Buch da echt weitergeholfen: Understanding Show, Don´t tell (and really getting it).

                      Ich frag mich gerade, ob ein Workshop Bereich im Forum vielleicht interessant wäre, in dem man solche Themen bzw. Techniken ganz gezielt angehen und üben kann. Wäre sicher auch spannend für z.B. Erzählstimmen, o.Ä. Araluen hatte ja so etwas im kleinen Rahmen schon einmal angefangen, mit ihrem Fingerübungen Thread. Ich könnte so einen Bereich gern einrichten, falls Interesse besteht und ihr so etwas machen wollen würdet.
                      Das wäre dann ein praktischer Bereich, gezielt für Aufgabenstellungen und Schreibübungen gedacht, die dann auch Feedback bekommen könnten.
                      “No tree can grow to Heaven unless it’s roots reach down to Hell.”
                      - C.G. Jung

                      Kommentar

                      • Federstreich
                        Redakteur
                        • 15.09.2023
                        • 89

                        #12
                        Wie immer sind die besten Quellen auf Englisch, das ich in 100 Jahren nicht beherrschen werde. (Ich werde immer ganz fuchsig, wenn ich auf einen Link oder ein Buch hingewiesen werde, die jemandem geholfen haben, und ich dann feststelle, dass ich es nicht verstehen kann. Kann natürlich niemand was dafür außer mir, dass ich es bis heute nicht geschafft habe, mir Englisch beizubringen.) Aber so ein Bereich zum Üben spezieller Techniken wäre sicher nicht schlecht. Ich kann nicht immer springen, wenn eine Übung ansteht, aber ich wäre interessiert und würde das innerhalb meiner zeitlichen Möglichkeiten umsetzen.👍

                        Kommentar

                        • Araluen
                          Moderator
                          • 04.09.2023
                          • 226

                          #13
                          Danke Rhagrim für den Buchtipp Ich hab es mir gleich mal geholt und wo wir hier so schön beisammensitzen und ich schon einmal reingelesen habe, teile ich gern die ersten Insights.
                          @Federstreich: Obwohl ich täglich Englisch sprechen muss, nervt es mich auch tierisch, dass die wirklich wertvollen Schreibratgeber alle auf Englisch sind. Zum einen finde ich es anstrengend auch noch neben der Arbeit ständig Englisch lesen zu müssen. Zum anderen finde ich es schwierig viele Inhalte 1 : 1 im Schreibhandwerk vom Englischen ins Deutsche zu übertragen vor allem wenn es dann mehr in Richtung Stil und weniger in Richtung Plot geht.

                          Show don't tell frei nach "Understanding Show don't tell" von Janice Hardy

                          Wir sind uns ja bereits darin einig, dass Show don't Tell zwar eine knackige Phrase ist, sich aber mitnichten leicht erfassen lässt.
                          Befassen wir uns mal mit der Frage, wie man Show von Tell überhaupt korrekt unterscheidet. Denn wenn wir das nicht können, können wir die Phrase gar nicht beherzigen.

                          Ein Indikator für Tell sind Finalsätze also Sätze mit "um ... zu".

                          Wir nehmen jetzt einmal ein Beispiel, um den Unterschied zwischen Show und Tell zu zeigen und welchen Einfluss die Perspektive auf unsere Wahrnehmung des Tells hat.
                          Ich Erzähler: Ich streckte die Hand aus, um nach der Tasse zu greifen.
                          personaler Erzähler: Sally streckte die Hand aus, um nach der Tasse zu greifen.
                          auktorialer Erzähler: Sally streckte die Hand aus, um nach der Tasse zu greifen.

                          Der Hauptsatz ist Show, denn hier wird eine aktive Handlung beschrieben. Der anschließende Finalsatz ist Tell. Hier wird keine aktive Handlung beschrieben, sondern die Absicht einer Handlung, die als erklärung der Handlung aus dem Hauptsatz dient. Warum strecke ich die Hand aus? Weil ich den Becher greifen will. Ob ich das schaffe oder vielleicht zu weit weg bin oder Sally das überhaupt wirklich zu tun gedenkt, wissen wir als Leser nicht. Wir bekommen lediglich erklärt, warum ich oder Sally die Hand ausstrecken.
                          Dem auktorialen Erzähler kaufen wir diese Begründung noch als wahr ab. Schließlich ist er allwissend. Es wird schon stimmen. Auch dem Ich-Erzähler glauben wir, dass die Absicht hinter seinem Tun korrekt ist. Man wird ja wohl selbst wissen, warum man etwas tut. In diesen beiden Fällen fällt uns das Tell nicht unbedingt negativ auf. Anders sieht es bei einem personalen Erzähler aus, der im Grunde auch nur raten kann, warum eine Figur, die im schlimmsten Fall nicht der Perspektivträger selbst ist, etwas tut. Damit haben wir hier eine Behauptung, die ihren Beweis schuldigt bleibt und nur erklären soll, warum eine Handlung stattfindet.

                          Wie wird das Ganze als reines Show formuliert?
                          Sally streckte die Hand aus und griff nach der Tasse.

                          Ein weiterer Indikator für Tell sind Adverbien.
                          Adverbien beschreiben Verben und damit die aktive Handlung. Hier sind wir wieder beim Erklären. Diesmal wird nicht erklärt, warum eine Handlung stattfindet, sondern wie sie stattfindet.
                          Beispiel Tell: "Ich hasse dich!", sagte ich wütend.
                          Man stelle sich vor, wütend schauspierisch darzustellen. Funktioniert das? Nicht direkt. Man kann Handlungen darstellen, durch die wir rückschließen können, dass die Person wütend ist. Aber es gibt keine Handlung "wütend".
                          Beispiel Show: "ich hasse dich!", schrie ich und knallte die Tür zu.

                          Nun wird es schwieriger: Ich ging langsam durch den Raum.
                          Gehen wir wieder auf die Bühne: "Langsam gehen" funktioniert wunderbar. Also wäre es im Grunde bereits Show und jetzt kommt das ABER: Langsam gehen ist ein sehr weites Feld. Man kann schlendern, schleichen, einfach langsamer als gewöhnlich gehen und wenn es so ist, was ist schon ein gewöhnliches Gehtempo. Vielleicht macht derjenige auch Tip-Top-Schritte oder wählt jede Muskelbewegung mit so viel bedacht, dass es wie eine anatomische Studie wirkt.
                          Also obwohl "geht langsam" durchaus als Show durchgeht, ist es besser an dieser Stelle auf das Adverb zu verzichten und stattdessen ein starkes Verb zu finden, dass präzise die Art des Gehens beschreibt.

                          ​So, das als erster Input. Wenn ich Zeit habe, mache ich gern weiter.
                          Zuletzt geändert von Araluen; 04.10.2023, 17:07.

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                          • Federstreich
                            Redakteur
                            • 15.09.2023
                            • 89

                            #14
                            Araluen Ah, jetzt wird es schon klarer. Nach solchen Indikatoren kann ich Ausschau halten. Ich bin so dreist und habe mir das in ein Spickdokument gepackt, das ich mir auf den Desktop legen werde, damit ich es immer gleich finde. Nur für mich, für niemanden sonst, aber vielleicht kann ich Show, don't tell dann eines Tages auch erklären. Ich hoffe sehr, dass du die Zeit findest, weiterzumachen. Ich würde dann das Spickdokument ausdrucken, wenn du fertig bist, und es zu meinen Unterlagen zum Überarbeiten legen. Danke schon mal für diese zwei Punkte!

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                            • Yamuri
                              Kaffeejunkie
                              • 04.09.2023
                              • 337

                              #15
                              Es gibt nur ein Problem bei dem Satz "Sally streckte die Hand aus und griff nach der Tasse". Der Satz impliziert, dass sie das auch geschafft hat. Zumindest lese und deute ich den Satz "greift nach der Tasse" als einen gelungenen Vorgang. Für mich signalisiert das "um zu" hingegen, dass sie anfängt nach der Tasse zu greifen, diese aber nicht zwangsläufig erreicht. Sie hat es vor, aber die Handlung wird unterbrochen. Würde bei "Sallys streckte die Hand aus und griff nach der Tasse" danach ein Satz stehen, der auf eine Unterbrechung hindeutet, wäre ich irritiert als Leser, denn sie greift nach der Tasse ist bereits die gelungene Handlung, die ausgeführt wird. "Um zu" lese ich hingegen als einen Versuch, der nicht zwangsläufig vollendet wird und wäre demnach nicht irritiert, wenn der Folgesatz die Unterbrechung beschreibt. Ich erwarte bei einem "um zu" eine Unterbrechung. Käme diese dann nicht, wäre ich auch irritiert.

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